Presse Bakunin auf dem Rücksitz
nachtkritik, Christian Rakow, 8.10.2010
Wo Bakunin seine Exkurse schaltet, stehen bei Laucke im Stücktext lange Fußnoten. Auf der Bühne werden es furiose Frontalsoli von Matthias Neukirch, einem Dandy in Nadelstreif mit Hundeleine um den Hals und Struwwelhaar. Je dichter die Textverästelung, desto gezielter packt er zu, desto luftiger schwingt er zwischen den Gedanken. Es ist überhaupt ein bestechender Schauspielerabend. Auch weil Regisseurin Sabine Auf der Heyde, in der Laucke seit ihrem Teamdebüt mit Für alle reicht es nicht eine kongeniale Partnerin gefunden zu haben scheint, sich erneut als Virtuosin der kleinen, epischen Mittel erweist.
Szenerien werden mit Schwarzweiß-Videozeichnungen (von Chrigel Farner) auf der Bühnenrückwand angedeutet, während sich die Akteure auf einem leeren Podest davor begegnen.
Es rinnt ein trockener Witz durch Lauckes Welt, der Witz von Menschen, die in ihrem Innersten Abstrampler sind, die wissen, dass die kapitalisierte Erde auch ohne ihr Zutun rotiert. Es ist der kalte Hauch der Resignation, den alle hier tief einsaugen.
Nur nicht der irre Köter. Kurz vor dem Finale schwingt sich diese Inkarnation des poetischen Prinzips auf, eine alternative Geschichte zu entwerfen, die der unsrigen Berliner Gentrifizierungsstory zum Verwechseln ähnlich sieht, aber in Alaska spielt und von der Vertreibung eines Inuit-Häuptlings durch eine Ölgesellschaft handelt. So ist das im globalen Kapitalismus: Andere Länder, gleiche Sitten. Nur dass hinter der imaginären Ozeanquerung ein Erzähler wirkt, der zunehmend selbstironisch und repräsentationskritisch spricht, als wollte er leise lehren: Denkt Anderes, denkt anders. Wenn Figuren nicht auszubrechen vermögen, muss die Erzählkunst Sprünge machen – gute Kunst zumindest. Die hört nicht mit "Es ist so" auf. Sondern mit "Es könnte sein“.
Tagesspiegel, Christine Wahl, 9.10.2010
„Man kann sich „Bakunin auf dem Rücksitz“, Dirk Lauckes Auftragswerk für das Deutsche Theater Berlin, hervorragend als Kreuzberg-affine Typen-Farce vorstellen. Sämtliche local players des frei schwebenden Gentrifizierungsdiskurses sind vertreten. Jeder Einzelne denkt eher vom eigenen Stammtisch her – sprich: die entscheidenden zehn Zentimeter zu kurz. (…)
Die Motive und Personen decken sich eins zu eins mit Lauckes eigenem Gentrifizierungswerk, immer nach dem Motto: Mir ist die Unterkomplexität durchaus nicht entgangen, aber ich will ja auch nicht ins „Philosophische Quartett“, sondern an die Geldhähne. (…)
Die Regisseurin Sabine Auf der Heyde, die Anfang des Jahres bereits Lauckes Stück „Für alle reicht es nicht“ in der DT-Box inszenierte, verortet das Geschehen vom Ansatz her adäquat im Comic. Und Christoph Schubiger hat für die Akteure ein schwarzes Plateau in die Kammerspiele hineingebaut, hinter dem Chrigel Farner videoanimiert in naiven Umrissen – und aus notwendig angemessener Hundeperspektive – die jeweiligen Szenarien skizziert
Solange die Figuren in diesem Typologischen bleiben, machen Text und Inszenierung durchaus hintersinnigen Spaß. Sobald sie mit ihren Gemeinplätzen aber zu stark in Richtung Realismus und Sentiment driften, ist sozialromantische Gefahr im Verzug.“
taz, Katrin Bettina Müller, 11.10.2010
„… Man hätte, so deutet Bakunin an, das alles hier auch auf Tragödienmaß hochschrauben können, mit verlorenen Vätern und verlorenen Söhnen und wiederkehrenden Figuren des Schicksals. Oder das Ganze zum großen globalisierungskritischen Kino aufblasen können à la „Fräulein Smilas Gespür für Schnee“. Das macht Dirk Laucke, der Autor von „Bakunin auf dem Rücksitz“, aber nicht. Er bleibt eine ehrliche Haut und hängt seine Geschichte tief. Mit Handwerkerstolz. Diese Realität hier muss auf den Tisch.
Und ebenso hält die Regisseurin Sabine Auf der Heyde, die mit Laucke schon einmal für das Deutsche Theater gearbeitet hat, den Ball flach und die Inszenierung schlank. Ein Podest dient für das Kommen und Gehen, dahinter zeichnet flink ein Stift, was die Vorstellungskraft noch braucht. (…) Der Rest ist Dialog, und in dem fliegen die Fetzen, bis jeder Aspekt beleuchtet ist. (…)Je weiter unten eine Figur auf der sozialen Leiter steht, mit desto mehr sprachlichem Witz zeichnet Dirk Laucke sie aus, kompensiert mangelndes materielles Vermögen mit Herzlichkeit. Das steht auf der Kippe zum Sozialkitsch; deshalb war es ein guter Kunstgriff, den Hund Bakunin einzuschalten, dessen Reflexionen über libertäre Theorie und neoliberale Praxis weiter ausschweifen dürfen als die der anderen Figuren. (…) „Bakunin auf dem Rücksitz“ entstand im Auftrag des Deutschen Theaters und schleppt redlich an der Realität der Stadt, ganz so, als sei es geschrieben, um grüne Politiker und Baustadträte bei ihren eigenen Widersprüchen zu packen. Dass man sich trotzdem gut unterhalten fühlt, ist schon eine Leistung.“