Presse Johanna!

Luzerner Rundschau, Nick Schwery, 29.3.2014

„Das Ausrufezeichen steht nicht umsonst im Titel, es ist tatsächlich Programm. Johanna! greift den Stoff der Jeanne d’Arc auf und fordert damit dem Zuschauer im Luzerner Theater viel ab, gibt ihm aber noch mehr zurück.
Johanna! von der Regisseurin Sabine Auf der Heyde ist kein Stück im klassischen Sinne, dafür fehlt die konkrete Handlung. Viel mehr ist es eine Verdichtung, eine Auseinandersetzung mit einer historischen Person, einer Heldin, einem Mythos – der Johanna von Orléans, bei uns besser bekannt als Jeanne d’Arc, die 1412 als Tochter einer wohlhabenden französischen Bauernfamilie mitten in den Hundertjährigen Krieg geboren wurde. (…)
Der Stoff wird so vielschichtig und mutig umgesetzt, dass sich der Zuschauer gelegentlich an die Wand gespielt fühlt. Kurz zuvor rutscht er noch ungeduldig auf dem Theatersessel hin und her, weil der absurd lange und sich stets wiederholende Prozess gegen Johanna derart aufreibend ist, dass er ihn am liebsten verlassen würde. Es sind diese Tempo- und Perspektivenwechsel, die das Stück so interessant, so existenziell machen. (…)Wer sich dieser Herausforderung stellt, der wird mit einer Darbietung belohnt, die unter die Haut geht und zur Auseinandersetzung mit sich, der Welt und ihren Helden und Mythen anregt. Auch, weil man spürt, dass die Schauspielerinnen sich voll und ganz in der Reflexion über Johanna verlieren und ihr so ein beeindruckendes, vielschichtiges Gesicht verleihen. Das ausharrende Publikum dankte dieser Meisterleistung mit einem langanhaltenden, zuweilen frenetischen und immer warmen Applaus.“


SRF Radio Kultur, Thomas Heeb, 29.3. 2014

Johanna, die Jungfrau von Orléans, ist ein Mythos – nicht nur in Frankreich. Ihr unbedingter Kampf für die Freiheit bis in den Tod wirft noch immer Fragen auf. Diesen geht die Regisseurin Sabine Auf der Heyde mit dem Stück «Johanna!» im Luzerner Theater nach – ohne fertige Antworten.
Regisseurin Sabine Auf der Heyde liess sich für ihre Inszenierung dieses Stoffs von verschiedenen Büchern über Jeanne d'Arc, die Jungfrau von Orléans, inspirieren. Im Luzerner Theater stellt Ann Heine für «Johanna!» deshalb einen Hörsaal auf die Bühne. Vier Studentinnen schlüpfen abwechlungsweise in die Rolle Johannas und der anderen Protagonisten. Zuoberst sitzt Jacob Suske, der die sphärische Musik beisteuert.
Er gibt aber auch der katholischen Kirche eine Stimme, die Johanna wieder und wieder verhört. Warum hat sie so gehandelt, welche Stimmen hat sie gehört, warum trug sie Männerkleidung? Das Verhör ist eine Art Folter, der noch handfestere Formen folgen werden. Beklemmend sind auch die Einspielungen anderer Zeitgenossen, die ebenfalls gegen Gesetz und Vorschriften handelten – im unbedingten Glauben, das Richtige zu tun. Zu Wort kommen die Whistleblower Edward Snowden und Bradley Manning – aber auch der Attentäter Anders Breivik, der in Norwegen 77 Menschen tötete.
Wer war Johanna von Orléans wirklich und was bedeutet ihre Geschichte heute? Wo hört der Glaube auf, wo beginnt die politische Instrumentalisierung eines Mythos? Klare Antworten sind im Luzerner Theater nicht zu haben. Doch das Schauspiel «Johanna!» stellt interessante und spannende Fragen.
​​​​​​​


null41.ch, Aurel Jörg, 28.3. 2014

Johanna von Orléans dient Sabine Auf der Heyde in «Johanna!» als Folie, um auf der Bühne des Luzerner Theaters ein gewagtes Stück über Geschichtlichkeit zu inszenieren. Bereits zu Beginn macht Auf der Heyde klar, wie frei sie gedenkt, mit der legendenumrankten Frau umzugehen: Das Gemälde Rubens, das Johanna auf den Knien und betend darstellt, wird als durchschimmerndes und bühneneinnehmendes Abbild aus Stoff dem Zuschauer verzerrt vor die Nase gesetzt. Die perfekte Projektionsfläche! Das Bild hält sich nur kurz und wird bereits in den ersten Minuten demontiert; dem Publikum wird der Blick auf eine Hörsaalbestuhlung freigegeben. Was darauf folgt, ist eine Collage mit Zitaten von Felicitas Hoppe, Friedrich Schiller, Edward Snowden, aber auch Anders Behring Breivik. Der gestrige Abend ist im Kontext mit Auf der Heydes Inszenierung in der vergangenen Spielzeit zu sehen: «Maria Stuart» war ein durchschlagender Erfolg bei Publikum und Kritik und kann damit eine Erklärung hergeben, dass sie im aktuellen Stück vom Theater an der Reuss eine Carte Blanche erhalten hat. Man vertraut der Frau und traut ihr Grosses zu – zu Recht. Mit sicherem Gespür für Aktualitäten klopft Auf der Heyde die zahlreichen Versionen von Johannas Lebensgeschichten und deren Rezeptionen ab. In einer schier endlosen und repetitiven Verhörsituation, die den live spielenden Musiker Jacob Suske kurzum als Verhörrichter agieren lässt, werden die Kategorien, die Johannas «Untaten» fassen sollen, ad absurdum geführt. Dies mutet dem Zuschauer einiges zu, ist mutig inszeniert und veranlasst den einen oder anderen erbosten Premierengast, den Saal frühzeitig zu verlassen. Luzern ist nicht Berlin. Nachdem «Johanna» erst einmal freigelegt ist und die Narrationen von Kirche und Staat als Machtmittel entlarvt sind, wird das Innerschweizer Publikum auf Trab gehalten: Ist Anders Behring Breivik, Terrorist aus Norwegen, ein Freiheitskämpfer? Ist der moralische Anspruch bei Johanna nach gleichem Muster gestrickt wie bei Snowden? Was trennt Überzeugung von Wahn? Johanna wird in Luzern auch als Werkzeug, das je nach Windrichtung von machthungrigen Männern nach ihren Zwecken eingesetzt wird, gezeigt. Dessen ungeachtet will Auf der Heyde Johanna von Orléans nicht als Opfer verstanden wissen; sie besetzt Johanna mit fünf stark aufspielenden Aktricen, wobei die jüngste von ihnen erst zehn Jahre alt ist.